Home SonstigesPolitik Mein Zivildienst an der Schule Hirtenweg – Zur Aussetzung der Wehrpflicht.

Mein Zivildienst an der Schule Hirtenweg – Zur Aussetzung der Wehrpflicht.

von Steffen Zörnig
Eingang der Schule Hirtenweg

Aktuell werden die letzten Wehrpflichtigen eingezogen und danach wird die Wehrpflicht ausgesetzt. Die Musterung liegt bei mir gute 11 Jahre zurück und anfänglich hatte ich noch gehofft ausgemustert zu werden. Dem war natürlich nicht so und so suchte ich mir schnell eine Zivildienststelle in der Schule Hirtenweg. Die Schule Hirtenweg ist eine Körperbehindertenschule, deren Schüler maximal mit dem Hauptschulabschluss abgehen. Viele jedoch beendeten die Schule „nur“ mit einem Abgangszeugnis.

Mein Zivildienst begann mit dem Schuljahr 2000/2001 zusammen mit zwei weiteren Zivildienstleistenden. Beide waren bereits vor mit dort, da sie noch 13 Monate Zivildienst leisten mussten. Da der Zivildienst ab dieser Zeit aber nur noch 11 Monate lang dauerte, war ich zum Schluss der einzige Zivildienstleistende. Die Schule wollte von dort an die Zivildienstleistende nur noch am Anfang des Schuljahres anfangen lassen, da es dann keine Ausfälle geben wird (durch die 6 Wochen Sommerferien). Wie es dann weiterging, als der Zivildienst auf 9 Monate gesenkt wurde, weiss ich leider nicht.
Mein Aufgabenfeld war insgesamt recht vielfältig und reichte vom morgendlichen Telefondienst im Sekretariat, über Klogänge und Schwimmunterricht bis zur Mitgestaltung des Unterrichts. Wie überall stellt sich auch hier die Frage wie weit man sich selber auch einbringen möchte. Ohne eigenes Engagement wäre das Jahr in der Schule Hirtenweg recht langweilig und eintönig geworden. Natürlich gehörten weder die Klogänge noch der Schwimmunterricht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, aber man konnte sich damit abfinden. Immerhin kann ich seitdem Windeln wechseln – auch wenn der Gestank meistens wirklich nicht feierlich war. Doch das sollte keinen abschrecken.

E-Hockey in der Schule Hirtenweg

E-Hockey an der Schule Hirtenweg

Es gab so viele schöne Momente, die diese Erfahrungen dann auch nicht mehr so schlimm erscheinen lassen. Gerne erinnere ich mich z.B. an das E-Hockey Turnier. Beim E-Hockey werden elektrische Rollstühle mit einem fest montierten Schläger ausgestattet. Die Kinder konnten mit einem Golfball danach Hockey spielen. Zusammen mit 8 Schülern waren wir ein Wochenende weggefahren und die Schüler, die teilweise am starken Muskelschwund litten, waren wirklich glücklich.
Mit anderen Schülern hatten wir im Rahmen einer Projektwoche auch den 15 Minuten Film „Rollwärts“ gedreht. Die Handlung war dabei relativ einfach: Max hat Geburtstag und alle wollen Geschenke kaufen. Natürlich müssen sie dazu den HVV (ÖPNV in Hamburg) nutzen, was jeden Schüler vor besondere Schwierigkeiten stellt. An einem Tag waren wir dazu auch beim PVG (Busunternehmen in Hamburg) und die Schüler – und auch der Zivi – durften mal selber einen Linienbus fahren. Den Film konnten wir sogar mit den Schülern im Zeise Kino anschauen, da er Teil des Regionalfestivals Altona war.

Lego Mindstorm

Lego Mindstorm Roboter

Im Bereich der Computerbildung konnte ich mich natürlich auch betätigen und hatte sogar mein eigenes Projekt. Der Computerunterricht war generell etwas eintönig und wenig auf Teamwork ausgelegt. Texte abtippen oder im Internetsurfen waren die beiden Betätigungsfelder für die Schüler. Ich hatte daraufhin angeregt einen Lego Mindstorm Kasten zu kaufen und habe dann mit den Schülern Roboter gebaut und programmiert. Wobei ich da nur unterstützend für die Schüler tätig war, denn die unterschiedlichen Einschränkungen der Schüler glichen sich in der Gruppe sehr gut aus. Einige konnten die Legosteine gut zusammensetzen und andere den Roboter dann programmieren. War es vorher nicht möglich sich zu zweit an einem Computer über Aufgaben zu einigen, so konnten hier sechs Schüler sehr gut zusammenarbeiten und alle hatten viel Spass und auch viele Erfolgserlebnisse.

Ein weiteres interessantes Feld waren zudem die Talker. Das waren Schüler, die selber nicht sprechen konnten und sich über einen Computer (damals noch „Powertalker“ genannt) und einer Symbolsprache artikuliert haben. Die Systeme basierten auf Minspeak, einer komplexen Symbolsprache, die trotzdem für die Kinder gut zu erlernen. Die Schüler waren zumeist auch motorisch sehr eingeschränkt und so konnten diese Computer über eine einzige Taste oder auch über einen Infrarotsensor an der Brille bedient werden.

Eigentlich gehörte zum Zivildienst an der Schule Hirtenweg auch eine Schulung, zu der ich aber nicht eingeladen wurde. Andere Zivildienstleistende berichteten unterschiedlich von diesen „Seminaren“. Von verschwendeter Zeit bis tolle Erfahrung waren alle Meinungen vertreten. Ich war damals ganz froh dort nicht hinzumüssen und kann das demnach nicht beurteilen. Jedoch darf man sich fragen, wie sinnvoll es ist, wenn ungeschultes Personal Tätigkeiten der Pflege,… übernimmt. Bei mir war das zwar kein Problem, aber bei vielen Schulabgängern hätte ich diesbezüglich bedenken.

Mein Fazit
Auch wenn ich die Wehrpflicht damals als Last angesehen habe, so hatte ich beim Zivildienst eine sehr gute und prägende Zeit, die ich nicht missen möchte. Ohne die Wehrpflicht wäre ich vermutlich gleich an die Uni gegangen, doch so hatte ich ein hartes aber erfüllendes Jahr an der Schule Hirtenweg. Ich habe zeitweise sogar mit dem Gedanken gespielt Sonderschulpädagogik zu studieren. Ich kann jedem Schulabgänger nur empfehlen diese „Pause“ einzulegen und würde sogar eine Zivildienstpflicht von 6 Monaten für Frauen und Männer sehr befürworten.

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1 Kommentar

maurice 11. Januar 2011 - 16:04

Ich muss zugeben, ich hatte damals auch zunächst versucht, mich irgendwie vor Bundeswehr zu Zivildienst zu drücken. Klar war für mich, dass Bund nicht in Frage kommt. Ich konnte mich natürlich nicht drücken und habe dann Zivi gemacht.

10 Monate lang habe ich auf einer anästhesistischen Intensivstation gearbeitet. Ich habe dort zusammen mit einem weiteren Zivi angefangen und zunächst den Büropart übernommen (für den ich mich beworben hatte). Der andere Zivi hat es auf Station aber nach zwei Wochen nicht mehr ausgehalten und so habe ich dann das ganze Programm übernommen. Habe Botengänge gemacht, Material bestellt, Zimmer bestückt, Beatmungsgeräte aufgerüstet und hin und wieder beim Wenden des ein oder anderen Patienten geholfen. Ich habe viele sterbenskranke Menschen gesehen, krasse Schicksale erlebt und regelmäßig Menschen sterben sehen.

So etwas verändert einen natürlich. Man lernt sehr viel über andere Menschen und noch mehr über sich, weil man einfach nicht drumherum kommt, sich mit solchen Ereignissen auseinander zu setzen.

Es muss ja nicht gleich die Intensivstation sein, aber ich finde, es kann nicht schaden, zu lernen mit anderen Schicksalen umzugehen. Das macht einen sensibler, vielleicht sogar bescheidener. Von daher fände ich es gar nicht schlecht, wenn es zumindest noch ein paar mehr Anreize für ein freiwilliges soziales Jahr o.Ä. gäbe.

Ich würde mich wohl im Nachhinein wieder für diesen Zivildienst entscheiden. Ich habe sehr viel daraus lernen und mitnehmen können. Ich habe außerdem die Befürchtung, dass viele Einrichtungen nur schwer ohne Zivis auskommen werden.

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